Presse-Info | 30. April 2012
L(i)ebe die Vielfalt:
„HIRSCHFELD-TAGE“
setzen ein Zeichen gegen Diskriminierung
Berlin erinnert an den Sexualreformer Magnus Hirschfeld
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg laden zu 30 Veranstaltungen ein, die gesellschaftliche Normen und Abweichungen und den Wert der Vielfalt (Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle, sexuelle Identität) ganz unterschiedlich thematisieren.
Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) stellen am 30. April in einer gemeinsamen Pressekonferenz um 11 Uhr in der Stiftung in der Mohrenstr. 63 in Berlin-Mitte die „Hirschfeld-Tage 2012“ vor. Die Bundesstiftung wird die Veranstaltungs-Reihe zukünftig alle zwei Jahre in andere Regionen Deutschlands tragen. 30 unterschiedlichste Veranstaltungen widmen sich vom 7. Mai bis zum 23. Juni in Berlin Themen wie z.B. sexuelle Vielfalt, Geschlechtsidentität und Verfolgung von Homosexuellen. Der LSVD wird sein Projekt eines Denkmals für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung vorstellen.
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Jörg Litwinschuh, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung:
„Unsere 2011 gegründete Stiftung wird durch interdisziplinäre Forschung und Bildung der Diskriminierung von homo-, trans- und intersexuellen Menschen entgegenwirken. Zugleich möchten wir das Erbe von Magnus Hirschfeld wachhalten und die Verfolgung von Homosexuellen, die nach dem Paragraphen § 175 des Strafgesetzbuches verurteilt wurden, erforschen und dokumentieren. Durch die Hirschfeld-Tage möchten wir diese Themen einem breiten Publikum näherbringen.“
Jörg Steinert, Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg:
„Im Rahmen der Hirschfeld-Tage wollen wir unserem Ziel der Errichtung eines Denkmals für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung Nachdruck verleihen. Dieses Denkmal soll an die im 19. Jahrhundert entstandene und im Nationalsozialismus zerschlagene Bewegung erinnern. Es soll gegenüber des Bundeskanzleramts am Magnus-Hirschfeld-Ufer errichtet werden.“
Die Details zu den Veranstaltungen der Hirschfeld-Tage sind abrufbar unter:
www.hirschfeld-tage.de
Kontakt für Interviewanfragen und weiteres Hintergrundmaterial:
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Jörg Litwinschuh
Geschäftsführender Vorstand
Mohrenstraße 63, D-10117 Berlin
Telefon: 030 - 212 343 76-0
Mobil: 0151- 628 367 39
E-Mail: vorstand@mh-stiftung.de
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Presse-Info | 30. April 2012 Hirschfeld-Tage www.queer.de
Ein Prosecco für den Sexologen Magnus Hirschfeld
Der Gründungsvater der ersten homosexuellen Emanzipationsbe- wegung wird im Mai und Juni mit einer Vielzahl von Veranstal- tungen geehrt.
Von Carsten Weidemann
In der Berliner Szene und da vor allem in der Bar Eldorado kannte man ihn als "Tante Magnesia", er schien also ein lebenslustiger Mensch gewesen zu sein. Der jüdische Arzt und Sexualreformer Dr. Magnus Hirschfeld (1868 - 1935) ging aber vornehmlich als einer der Gründungsväter der ersten deutschen Emanzipationsbewegung der Homosexuellen in die Geschichte ein. Sein Berliner Institut für Sexualwissenschaft erlangte Weltruhm. Die Nazis plünderten es 1933, verbrannten seine Bücher auf dem Bebelplatz und zerstörten eine Institution, die sich schon damals für die Integration von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen und gegen jedwede Form der Antihomosexualität - wie staatlicher Verfolgung und gesellschaftliche Ächtung - engagierte.
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Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die Ende 2011 ihre Arbeit aufnahm, erinnert mit einer am Montag in Berlin präsentierten neuen Veranstaltungs-Reihe zukünftig alle zwei Jahre in verschiedenen Regionen Deutschlands an ihren Namensgeber und an weitere Menschen wie z.B. Johanna Elberskirchen, die sich für die Emanzipation engagiert haben. Die Hirschfeld-Tage, die in Berlin am 7. Mai starten und zum Berliner CSD Ende Juni enden, bleiben dabei nicht im Gestern stehen: Sie greifen - basierend auf den historischen Erfahrungen - aktuelle Fragestellungen auf und initiieren Diskurse zum Beispiel zur Aufhebung der Unrechtsurteile nach § 175 StGB, zu sexueller Vielfalt und ihrer Lebensformen und zum Zusammenwirken identitätsgenerierender Kategorien wie Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung.
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Presse-Info | 30. April 2012 Berlin www.siegessaeule.de
Stiftung Magnus Hirschfeld präsentiert die Hirschfeld-Tage
Die Hirschfeld-Tage sollen zukünftig im Zweijahres-Turnus durch Deutschland touren. Start: 7. Mai in Berlin
Hirschfeld-Tage in Berlin, 7. Mai. bis 23. Juni
Mohrenstraße 63 in Mitte: Hier saß in der Zeit des Nationalsozialismus die Allianz, die als Versicherer von NSDAP-Organisationen satte Gewinne machte. Es sei ein gutes Zeichen der Geschichte, "wenn an dem Ort, an dem das Übel des Nationalsozialismus zumindest mitfinanziert wurde, heute eine Organisation sitzt, die eine Gruppe von Menschen vertritt, die damals verfolgt worden ist." So eröffnete Jörg Litwinschuh vom Stiftungsvorstand die heutige Pressekonferenz, um dann einen Blick in die zukünftige Arbeit der Stiftung zu werfen.
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Im Zentrum stehen die Hirschfeld-Tage, die im Zweijahres-Turnus an verschiedenen Orten in Deutschland stattfinden werden, um an ihren Namensgeber und weitere Menschen wie z.B. Johanna Elberskirchen zu erinnern, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts für die Emanzipation von Schwulen und Lesben engagiert haben. Ziel ist es, über die Erinnerung zu aktuellen Fragestellungen zu gelangen, wie z.B. die Aufhebung der § 175 StGB-Unrechtsurteile, oder auch ganz allgemein die Lebenssitiation von Lesben, Schwulen und Trans* in der gegenwärtigen Gesellschaft.
Erste Station der Hirschfeld-Tage ist Berlin, los geht's am 7. Mai. Bis zum 23. Juni werden mit verschiedenen Kooperationspartnern, unter anderen LSVD und Siegessäule, rund 30 Veranstaltungen stattfinden (Schwerpunktthema im aktuellen Heft Siegessäule, Seite 20-25). Eröffnet werden die Hirschfeld-Tage mit der Benefizgala "Marlene für Magnus" im Wintergarten, moderiert von Lilo Wanders. Spenden und Erlöse der Veranstaltungen sind für das vom LSVD initiierten Projekt "Denkmal der ersten deutschen Homosexuellenbewegung" gedacht. Es soll gegenüber dem Bundeskanzleramt am Magnus-Hirschfeld-Ufer entstehen.
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Presse-Info | Mai 2012 Berlin www.jzeit.de
Er hält fast keinen für normal
Magnus Hirschfelds Konzept «Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit» wird mit neuer Bundesstiftung wiederbelebt
Von Lutz Lorenz
Bilder im Kopf wird man nur schwer wieder los. Ob sie mit der Realität übereinstimmen oder nicht, ist dabei vollkommen unerheblich:
Als in meiner Straße im Berliner «Hansaviertel » die ersten «Stolpersteine» zur Erinnerung an jene Juden verlegt wurden, die hier einmal gewohnt hatten, standen selbst die Häuser nicht mehr. Das Viertel nahe des Reichstags wurde in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges vollkommen zerstört.
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Heute stehen dort die Neubauten der Internationalen Bauausstellung von 1957. Nur sehr wenige Häuser aus alter Zeit sind erhalten geblieben und zeugen von der einstigen großbürgerlichen Pracht des Viertels. Sie verstärken meine Bilder im Kopf noch mehr: So oder so könnten viele der Stadtvillen ausgesehen haben, die hier standen. Ich darf in solchen Momenten nicht stehen bleiben, denn dann sehe ich sie vor mir: ganze Familien, die aus den Häusern getrieben werden, nur mit einem Koffer in der Hand. Noch schlimmer werden diese Bilder, wenn ein Mahnmal an etwas erinnert, das hier einmal gewesen ist. Die riesige, aufrecht stehende Stahlplatte an der Philharmonie in der Tiergartenstraße 4 ist so ein Ort: Hier stand eine Villa, in der die Büros der Nazi- Organisation «T 4» untergebracht waren. Ganz normale Räume mit Aktenschränken und tippenden Sekretärinnen. Mittags gingen sie wohl lachend im Tiergarten spazieren. Nicht besonders. Aber die Listen, die sie abschrieben, waren die Deportationslisten geistig und körperlich Erkrankter im Rahmen der Euthanasieaktionen. Doch manchmal stehen im Berliner Tiergarten weder die Gebäude noch ein Mahnmal. Ganz in der Nähe der «T 4»-Verwaltung, unweit des «Hauses der Kulturen der Welt», in Berlin besser bekannt als «schwangere Auster», befand sich auch das Gebäude des «Institutes für Sexualwissenschaft», das der jüdische Arzt, Sexualwissenschaftler und Mitbegründer der Homosexuellenbewegung Magnus Hirschfeld im Juli 1919 hier einrichten konnte, ein gutes Jahr nach der Gründung seiner «Dr. Magnus Hirschfeld Stiftung». Auch dieses Haus steht nicht mehr, lediglich ein Denkmal erinnert daran. Und obwohl die Ereignisse der Plünderung und anschließenden Zerstörung des Institutes am 6. Mai 1933 historisch belegt sind, entstehen mir auch hier wieder Bilder im Kopf, wie dieser Tag – der vorerst das Ende bahnbrechender sexualwissenschaftlicher Forschungen in Deutschland bedeutete – wohl abgelaufen sein mag. Sappho und Sokrates Magnus Hirschfeld, am 14. Mai 1868 in Kolberg in einer Arztfamilie geboren, zählt heute unumstritten zu den maßgeblichen Pionieren der zum Ende des 19. Jahrhunderts vor allem in den USA und Westeuropa entstandenen Sexualwissenschaft. Hirschfeld spezialisierte und konzentrierte sich dabei auf die Homosexualität. Mit 28 Jahren veröffentlichte er seine erste Abhandlung zur gleichgeschlechtlichen Liebe. «Sappho und Sokrates. Oder: Wie erklärte sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts». Mit dieser Schrift brachte er in den jungen Wissenschaftszweig eine revolutionären Aspekt ein: Die «Lehre der sexuellen Zwischenstufen». Bislang bezogen sich Sexualität, Geschlechterordnung und Geschlechterrollen, zumindest im offiziellen und gesamtgesellschaftlichen Denken, nur auf die allseits akzeptierten und klar definierten zwischen Mann und Frau mit eindeutig männlicher oder eindeutig weiblicher Ausrichtung. Hirschfeld hingegen stellte die Theorie auf, dass alle Männer und Frauen «einzigartige unwiederholbare Mischungen männlicher und weiblicher Eigenschaften» seien. Diese Lehre der Zwischenstufen war ihm Grundlage seiner sexualwissenschaftlichen Arbeit und seinen daraus resultierenden sexualpolitischen Forderungen nach einer Emanzipation sexueller Minderheiten, wie den Homooder Bisexuellen, von staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ausgrenzung. 23 Jahre lang war Hirschfeld Herausgeber des «Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen». Nur für ein Jahr lang brachte er 1908 die «Zeitschrift für Sexualwissenschaft» heraus, die jedoch auf Grund des mangelnden wirtschaftlichen Erfolges für den Verlag wieder eingestellt wurde. Weltweit die «volle Verwirklichung der sexuellen Menschenrechte» zu erreichen, war erklärtes Ziel nicht nur seines Institutes und dieser wie anderer Veröffentlichungen, sondern auch sein Lebensinhalt. Nach seiner Promotion zum Dr. med. betrieb Hirschfeld ab 1894 in Magdeburg eine allgemeinmedizinische Arztpraxis, zog dann zwei Jahre später nach Berlin. Hier gründete er gemeinsam mit dem Verleger Max Spohr, dem Juristen Eduard Oberg und dem Schriftsteller Franz Joseph von Bülow das «Wissenschaftlich- humanitäre Komitee», dessen Vorsitzender er wurde. Das Komitee war weltweit die erste Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sexuelle Handlungen zwischen Männern zu entkriminalisieren und erreichte sogar die Einbringung einer entsprechenden Petition in den Deutschen Reichstag: Der berüchtigte «Homosexuellen-Paragraph» 175 sollte aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Die Petition wurde zwar verhandelt, scheiterte jedoch. Erst 1994 wurde der Paragraph in der Bundesrepublik Deutschland ersatzlos gestrichen. Grundlage seiner Forschungen und politischen Forderungen war eine statistische Erhebung in den Jahren 1903 und 1904, in dessen Ergebnis Hirschfeld nach Befragungen von Studenten und Arbeitern zu ihrer sexuellen Orientierung herausgefunden hatte, dass etwa zwei Prozent homosexuell und drei Prozent bisexuell leben würden. Einige der Befragten zeigten Hirschfeld wegen Beleidigung an. Es kam zu einer Verurteilung, woraufhin sich sogar Mitarbeiter aus den eigenen Reihen, so der Münchner Zweigstelle des Komitees, von Hirschfelds Methode der Befragung distanzierten. «Überall Skandal» Dennoch hatte sich Hirschfeld zu einem anerkannten Experten in Fragen der Homo- und Bisexualität etabliert. So wurde er von 1907 bis 1909 als Gerichtsgutachter für sexualkundliche Fragen im Rahmen der «Eulenburg-Affäre» berufen: Mehrere kriegsgerichtliche und zivilrechtliche Verleumdungsverfahren zwischen einem Journalisten und einem Vertreter des deutschen Hochadels hatten sich damals zum größten Skandal des Kaiserreiches und nicht enden wollenden Gerüchten über einen homosexuellen Kreis um Kaiser Wilhelm II. ausgeweitet. Hirschfeld trat vor Gericht in sehr umstrittener Weise auf: für einige Beobachter analytisch-wissenschaftlich, in einem anderen Fall nur auf «Hörensagen» beruhend und damit einen Skandal auslösend – in jedem Fall jedoch gegen die in Adels- und Offizierskreisen grassierende Homophobie. Der Coupletdichter Otto Reutter brachte Hirschfelds «analytische» Art, die er für überzogen hielt, da sie sich auf viele normale Verhaltensweisen des Alltages ausdehnte, 1908 sogar auf deutsche Kabarettbühnen. Damit war das «Hirschfeldlied» nicht nur die erste Schallplattenaufnahme zur Homosexualität überhaupt, wenn auch nur in sehr versteckten textlichen Andeutungen, sondern trug auch dazu bei, dass sich der Bekanntheitsgrad Hirschfelds und seiner Arbeit steigerte. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete Hirschfeld als Lazarett-Arzt und nahm unmittelbar nach Ende des Kaiserreiches seine wissenschaftliche Arbeit mit der oben erwähnten Gründung von Stiftung und Institut 1918 und 1919 wieder auf. Im gleichen Jahr wurde Hirschfeld Berater und Mitwirkender im ersten Schwulenfilm der Filmgeschichte, «Anders als die Andern» von Richard Oswald. Schon zwei Jahre nach seiner Gründung organisierte das Institut die «Erste internationale Tagung für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage». Teilnehmer waren namhafte linksliberale Sexualwissenschaftler, die gegen einen «bevormundenden Staat in Fragen der Sittlichkeit» eintraten und der Überzeugung waren, dass die Sexualwissenschaft die Grundlage für gesamtgesellschaftliche Reformen bilden könnte und würde. Sechs Jahre später fand in Kopenhagen ein zweiter Kongress statt, gefolgt von Tagungen 1929 in London, 1930 in Wien und 1932 in Brünn, alle unter Federführung Hirschfelds und seines Berliner Institutes, wo sich auch das Zentralbüro der Kongresse und de facto die Zentrale der «Weltliga für Sexualreform» befanden. Umstritten Bis heute umstritten ist das Engagement Magnus Hirschfelds als Eugeniker. Verschiedene Quellen sprechen davon, dass er auch Mitglied in der «Gesellschaft für Rassenhygiene » gewesen sein soll. Nicht selten wird heute daher der Jude Hirschfeld von rechten Kräften und Neonazis sogar als Vorreiter der «Rassenhygiene»-Politik der Nazis herangezogen, da die Eugenik eine Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik propagiert, die auf der Förderung «positiv zu bewertender Erbanlagen » basiert. Hirschfeld, selbst homosexuell, sprach sich diesbezüglich sogar gegen eine Fortpflanzung von Schwulen und Lesben aus, die seiner Meinung nach aufgrund eines die Homosexualität mitbegründenden Gendefekts nur «geistesschwache» Nachkommen zeugen könnten. Wesentlich gewichtiger jedoch ist Hirschfelds Versuch zu bewerten, gegen den weit verbreiteten ärztlichen Rat zu argumentieren, das Homosexuelle nur heiraten müssten, dann kämen sie schon «auf andere Gedanken». «Das „eugenische Argument“ war hier klar politisch gewendet – nichtsdestotrotz bleibt es gefährlich», erklärt dazu Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld- Gesellschaft. Schon 1920 wurde Hirschfeld nach einem Vortrag in München durch «völkische» Jugendliche so schwer verletzt, dass die Zeitungen bereits seinen Tod gemeldet hatten und er selbst seine eigenen Nachrufe lesen konnte. Immer wieder wurden fortan seine Vorträge durch Schlägertrupps der Nazis attackiert. Spätestens ab 1930 wurden diese Provokationen so massiv, dass Hirschfeld um sein Leben bangen musste. So kam im selben Jahr eine Einladung zu Vorträgen in die Vereinigten Staaten sehr gelegen: Hirschfeld reiste durch ganz Nordamerika, später durch Asien und den Orient – und betrat Deutschland nie wieder. Er ging ins Exil, zunächst nach Zürich, später nach Paris, wo eine Neugründung des Institutes scheiterte, und schließlich nach Nizza, wo er 1935 an seinem 67. Geburtstag starb. Zuvor hatte er im Exil noch Analysen und Widerlegungen der nationalsozialistischen Rassendoktrin verfasst. Dabei nutzt Hirschfeld als einer der ersten Wissenschaftler seines Faches den Begriff Rassismus, den er als «Sicherheitsventil gegen ein nationales Katastrophengefühl» bezeichnete. Rassismus diene der «Wiederherstellung der Selbstachtung», da er sich «gegen einen leicht erreichbaren und wenig gefährlichen Feind im eigenen Land richte und nicht gegen einen achtenswerten Feind jenseits der nationalen Grenzen». Hirschfeld musste die Plünderung seines Institutes durch Studenten der «Hochschule für Leibesübungen» im Exil hinnehmen und erfahren, dass die Bibliothek des Hauses und seine eigenen Schriften der Bücherverbrennung der Nazis auf dem Berliner Opernplatz zum Opfer fielen. Warum seine Forschungsergebnisse vernichtet und nicht zur Grundlage der perfiden Rassengesetze der Nationalsozialisten missbraucht wurden, ist noch immer umstritten. Eine denkbare Erklärung ist die zeitgenössische These des Arztes Ludwig Levy-Lentz, dass eine Reihe von Aufzeichnungen des Instituts «Dinge beinhalteten», deren Bekanntwerden der Nazi-Führung hätte schaden können: Viele der damals aufstrebenden Nazi-Größen waren Hirschfelds Patienten. Neuere Bewertungen der Vorgänge finden sich bei Rainer Herrn in den Begleitbänden der «Bibliothek verbrannter Bücher» am «Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien » in Potsdam, herausgegeben von Julius H. Schoeps und Werner Treß. Neue Stiftung Im November 2011 hat die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Justiz, die inzwischen rechtsfähige «Bundesstiftung Magnus Hirschfeld» errichtet und mit einem Stiftungsetat in Höhe von zehn Millionen Euro ausgestattet. «Mit einem Bildungs- und Forschungsprogramm soll die neue Stiftung der gesellschaftlichen Diskriminierung homosexueller Männer und Frauen in Deutschland entgegenwirken. Das von den Nationalsozialisten an Homosexuellen verübte Unrecht soll historisch aufgearbeitet und dokumentiert werden. Darüber hinaus sollen Leben und Werk des Namensgebers Dr. Magnus Hirschfeld wissenschaftlich erforscht und dargestellt werden. Der Berliner Arzt und Sexualwissenschaftler war Vorreiter der Homosexuellenbewegung und beschäftigte sich auch mit Fragen der Trans- und Intersexualität», heißt es in einer Verlautbarung des Ministeriums. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger erläuterte dazu: «Die Stiftung kann jetzt ihre Arbeit aufnehmen [und] einen wichtigen Beitrag für die Offenheit der Gesellschaft leisten. In einer offenen Gesellschaft darf es keine Diskriminierung von Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen geben. Auf dem Weg des Abbaus von Diskriminierungen bis zur gleichberechtigten Teilhabe von gleichgeschlechtlichen Lebensentwürfen setzt die Bundesregierung auch auf die jetzt konkret beginnende Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.» In einer ersten Initiative rief die Stiftung gemeinsam mit dem Magazin «blu» dazu auf, rund um den «Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie» am 17. Mai in Deutschland Aktionen in Schulen, am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit zu starten. Die besten Aktionen wurden mit fünfmal bis zu 800,- Euro gefördert. Als Schwerpunkte der Aktionen wurden die Aufklärung über sexuelle Vielfalt sowie die Aufarbeitung der Geschichte der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit und in der Bundesrepublik Deutschland ausgeschrieben. Dabei waren der Kreativität keine Grenzen gesetzt und Bewerbungen vom Flyerdruck, über die Produktion von Filmen bis hin zu einem Flashmob angenommen. Seit 2005 wird der 17. Mai jedes Jahr offiziell in zahlreichen Staaten weltweit und auch durch das Europäische Parlament als International Day Against Homophobia and Transphobia begangen. Er erinnert daran, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Trans- und Intersexuelle in aller Welt für ihre Rechte und um Anerkennung kämpfen. In den letzten Jahren gewann der Tag auch in Deutschland an Bedeutung, und zahlreiche Aktionen wie der Rainbow-Flashmob erfreuen sich wachsender Beteiligung. Inzwischen hat die Bundesstiftung auch ihre Fördertätigkeit aufgenommen und die ersten beiden Anträge positiv beschieden: Sie fördert die Gründung und den Aufbau eines bundesweiten Netzwerks von 39 Schulaufklärungsprojekten unter dem Motto «Vielfalt macht Schule» und unterstützt eine Ausstellung des Schwulen Museums in Berlin im November 2012. Damit setzt der Stiftungsvorstand ein Zeichen, wie wichtig ihm die Schulaufklärung und die Integration von trans- und intersexuellen Menschen ist. Jörg Litwinschuh, Geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung, erklärte dazu: «Wir werden in diesem Jahr schwerpunktmäßig Projekte fördern, die sich mit der Aufarbeitung der Diskriminierung und der Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus beschäftigen. Dazu zählen unter anderem auch die Zusammenarbeit mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und den Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrationslager sowie die Sicherung und der Erhalt zum Beispiel von Prozessakten und Zeitzeugenberichten in verschiedenen Regionen Deutschlands.» Hirschfeld-Tage 2012 Vom 7. Mai bis zum 23. Juni veranstaltet die Bundesstiftung gemeinsam mit dem Lesbenund Schwulenverband Berlin-Brandenburg e.V. in Berlin die «Hirschfeld-Tage», die im Centrum Judaicum – Stiftung Neue Synagoge mit einem Festakt offiziell begonnen werden. Schon vor mehr als zehn Jahren hatte es ein Hirschfeld-Festival in Berlin gegeben, das nun eine Neuauflage erfährt. «Etwa 30 Veranstaltungen beschäftigen sich mit der Vielfalt gleichgeschlechtlicher Lebensweisen, sexueller Identitäten und Geschlechtsidentitäten. Unter dem Motto „L(i)ebe die Vielfalt“ wird ein Jahrhundert zurück – und zugleich in die Gegenwart – geblickt», beginnend bei Magnus Hirschfeld «bis zu den heutigen Herausforderungen in Forschung und Bildung», hieß es Ende April seitens der Stiftung gegenüber der Presse. So stehen im Mai in Berlin der Benefiz- Galaabend «Marlene für Magnus» im Wintergarten- Varieté auf dem Programm, ebenso eine Ausstellungseröffnung über «50 Jahre Lesben und Schwule in der „Bravo“» und ein Vortrag über die oben beschriebene «Eulenburg- Affäre» im Schwulen Museum, eine schwul-lesbische Stadtführung vom Bahnhof Zoo bis zur Karl-Marx-Allee, ein Vortrag über weibliche und männliche Crossdresser der Goldenen Zwanziger Jahre im Sonntags- Club, die Aufführung des Films «Illusion mit rotem Regenschirm» von Miklos Königer aus dem Jahre 1992 und schließlich des oben benannten ersten Homosexuellenfilms «Anders als die Andern» von 1919. Die Verleihung des «Magnus-Hirschfeld-Preises» rundet das Festivalprogramm ab, das im Juni fortgesetzt und von der «Jüdischen Zeitung» weiter begleitet werden wird.
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